Zitiert: Warum man sich auch von Parteien abwenden kann

Parteien oder Vereinen weisen auf Erosionsprozesse hin. Man muss jedoch vorsichtig sein, diese zu bewerten. Wenn Leute sich von Parteien abkehren, ist das möglicherweise kein Zeichen von Politikverdrossenheit, sondern von Politikinteresse. Manche fühlen sich nur in Parteien nicht mehr aufgehoben oder angesprochen. Aber generell kann man diesen Erosionstrend bestätigen, und gerade die Leitmedien hätten die Aufgabe, dem entgegenzusteuern. […]

Der Vertrauensverlust in die Medien korrespondiert mit einem Vertrauensverlust in das demokratische System insgesamt. Auf die Medien bezogen hat es viel mit der Konkurrenz der Direktmedien wie Twitter zu tun. Viele können nicht sauber zwischen den Informationen aus diesen beiden Systemen unterscheiden. Dazu kommt, dass die Qualitätsmedien Stilelemente aus den Direktmedien übernommen haben. Und dann wird es kritisch, weil eines dieser Elemente die Personalisierung ist. Also dass man Menschen nicht für das, was sie sagen, diskutiert oder kritisiert, sondern für das, was sie sind oder zu sein scheinen. […]

Es ist ein soziales Klima der Offenheit oder Geschlossenheit des Sprechens, das erzeugt wird. Das ist ein komplizierter Prozess. Und da muss man verdammt aufpassen, das darf nicht passieren. …

Wir können uns da auf medienwissenschaftliche Analysen in Bezug auf die Pandemieberichterstattung und -kommentierung und auf das Flüchtlingsgeschehen ab 2015 stützen. Und da kommt man zu dem Befund, dass die Berichterstattung erstaunlich einheitlich ist und sich vorwiegend auf die Spitzenpolitik konzentriert und nicht darauf, wie die Gesellschaft versucht hat, das Geschehen zu bewältigen. …

Man kann bei Gerhard Schröder anfangen, dem Medienkanzler. Und man kann gucken, wer bei wem Pressesprecher wird, aus welchem Medium die kommen und wohin die hinterher zurückgehen. Diese Übergangszonen gibt es schon relativ lange, aber unter veränderten Bedingungen der medialen Kommunikation werden die möglicherweise wirksamer und die Rollen verändern sich ein bisschen mehr. Wir beschreiben ja einen Prozess, und es bedeutet auch nicht, dass alle so agieren. Aber es gibt diese Tendenzen. …

Politischer Journalismus müsste reflektieren, wie die neuen Medien das politische Handeln verändert haben.

Harald Welzer, berliner-zeitung.de, 24.9.2022 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)