Dieses immer gleiche insistierende Befragen der kritischen Journalisten (mehr w als m) ist aber ein Grillen am falschen Ort. Die Parteivertreter sollen sofort sagen, wie sie sich künftige, völlig neuartige, also schwierige Koalitionen vorstellen. Und natürlich können sie dazu noch nichts sagen. Also geht es um ein Katz-und-Maus-Spiel über Zwischentöne oder Andeutungen. „Wir werden da sehr klar und deutlich sein.“ „Wir wollen kämpfen.“ In einem heutigen Drehbuch, mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem sprachkritischen Sprechtheater, würden solche Schlagabtäusche gestrichen, wegen Einfallslosigkeit, Frau Schausten.
Die oft beklagte Plastikhaftigkeit des politischen Sprechens ist mindestens zur Hälfte auch der Effekt eines mechanisch agierenden Journalismus, Frau Schausten, beziehungsweise Frau Zimmermann. Diana Zimmermann nämlich, die ARD-Ankerfrau des Abends, spulte genauso routiniert ihr Programm ab wie Frau Schausten (die naheliegende Pointe von Chat-GPT als dem neuen sprachkritischen Sprechtheater schenken wir uns). […]
Was dabei fast unterging, auch weil es schon vorweggenommen worden war, ist die historische Dimension des bestürzenden, das Parteiensystem umkrempelnden Erfolgs der AfD. Deren Sprecher können tiefenentspannt Forderungen stellen, weil sie wissen, dass sie dafür nicht in die Pflicht genommen werden. An der AfD perlt das mechanische Grillen der Journalistinnen rückstandslos ab. […]
Denn alle, alle reden auch ohne die AfD von Migration. Und alle sagen mehr oder weniger dasselbe (mehr abschieben). […] Kann es sein, dass Bürokratie und institutionelle Blockaden ein dramatischeres Problem sind als Migration – weil sie auch deren Bearbeitung verhindern? […]
Der kreisenden Leere der Wahlabendsprache entspricht ein politisches Auf-der-Stelle-Treten, das die schlimmste aller republikanischen Möglichkeiten aufscheinen lässt: eine Krise ohne Ausweg.
Gustav Seibt, sueddeutsche.de, 02.09.2024 (online)
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