Welche Koalitionen sich Wählerinnen und Wähler wünschen, schreiben sie auf ihrem Wahlzettel nicht dazu. Trotzdem wissen manche Politikerinnen und Politiker ganz genau, was die Deutschen jetzt angeblich wollen.
Dabei nennt die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach den „Wählerwillen“ im „Spiegel“ einen „Mythos“. Im besten Fall entspringt er einer Sehnsucht nach Einfachheit. Im schlimmsten Fall ist es eine von Populisten missbrauchte Floskel, die demokratische Prinzipien in Frage stellt: Eine repräsentative Demokratie beruht auf Vielfalt und Kompromissen, keinem einheitlichen Willen aller.
„Wille“ ist ein starkes Wort. […] Alle möglichen Experten, Politiker und Journalisten scheinen genau zu wissen, was die Wählerinnen und Wähler wollen. Als hätten die nicht nur eine Erst- und Zweitstimme vergeben, sondern auch noch ein Post-it neben ihre Wahlkreuze gepappt: „Ich wähle Partei X vor allem, damit sie später mit Y koaliert, aber auf keinen Fall mit Z.“ […]
Von einem einheitlichen Wählerwillen zu sprechen, ist also absurd, aber nützlich. Das Wort suggeriert eine Autorität der Wählerschaft, der sich die Politikerinnen und Politiker angeblich nur beugen. Tatsächlich platzieren sie diese Autorität aber selbst genau dorthin, wo sie ihnen am besten in den Kram passt.
Annika Schneider, uebermedien.de, 05.03.2025 (online)