Zitiert: Die „Mauerfall-Hymne“ aus dem „Westen“

Schon Jahre davor fiel weit im Westen der neuen Republik die Entscheidung, dass die Musiker von Pankow keine gesamtdeutschen Stars werden. Anfang der 90er-Jahre wurde die passende Musik für eine TV-Doku über den Mauerfall gesucht. Ein Mann in einem Kölner Studio entschied sich der Legende nach für einen Song aus Hannover: „Wind of Change“ von den Scorpions, der einzige Song mit Ost-Bezug, den er kannte. Die Logik war einfach: Lieber eine bekannte Band aus dem Westen, als eine im Westen unbekannte Band aus dem Osten. Hätte nicht jemand auf die Idee kommen müssen, nach einem passenden Song aus dem Osten zu suchen? […]

Der Witz daran: Die Scorpions haben den Song erst ein Jahr nach dem Mauerfall veröffentlicht, er hat rein gar nichts mit der DDR zu tun, trotzdem gilt er als Hymne des Mauerfalls. Bis heute. Zum Beispiel neulich auf Pro7: Der Reporter Jenke von Wilmsdorff zeigt eine 80er-Jahre-Doku, stundenlang geht es fast nur um den Westen, am Ende muss dann doch noch etwas Osten kommen – wegen des Mauerfalls. Wieder geht es um den Soundtrack dieser Zäsur und wieder wird die Scorpions-Legende ausgewalzt.

Noch absurder ist nur das andere Märchen, dass „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff die zweite Mauerfall-Hymne sei – zum 35. Jahrestag gerade wieder zu sehen im Werbespot einer Bank. Dort sitzen Kohl, Bush, Honecker, Gorbatschow und Thatcher am runden Tisch, ein Mann kommt und spielt den Dorfbums-Schlager des C-Movie-Darstellers aus Hollywood ab, Kohl springt auf den T3isch, tanzt unterm DDR-Wappen, irgendwann ruft Honecker: „Sie haben recht, Herr Hasselhoff, die Mauer kann weg.“

Aha, in der DDR hat nicht die winzige Opposition ihre Freiheit riskiert, als sie aufbegehrte, und nicht das Volk, als es sich auf die Straßen traute. Nein, es war alles nur Fun, und Helmut Kohl hat mit David Hasselhoff die Mauer gestürzt und der Scorpions-Sänger pfiff dazu seine kleine Melodie. […]

Die Wahl der „Mauerfall-Hymne“ hätte anders enden müssen. Es geht nicht um „Langeweile“, sondern einen Song aus dem Osten, egal ob von Silly, Keimzeit, Sandow oder Pankow. Vielleicht hätte das ein klein wenig mitgeholfen, die Wahrnehmung von Themen aus dem Osten zu ändern.

Jens Blankennagel, berliner-zeitung.de, 11.01.2025 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)