Zitiert: Die besten Zeiten öffentlich-rechtlicher Medien liegen noch vor uns

Wenn ich heute hier über Reform und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spreche, dann werde ich etwas in der laufenden Debatte Unerhörtes tun: Optimismus wagen. Ich werde die These vertreten, dass die besten Zeiten öffentlich-rechtlicher Medien noch vor uns liegen. […]

Öffentlich-rechtliche Medien kümmern sich aber, zumindest ihrem demokratischen Anspruch nach, nicht in erster Linie um werberelevante Zielgruppen, sondern um alle Zielgruppen. Und in dem Ausmaß, in dem sie einer anderen Logik folgen und damit auch relevante Reichweiten erzielen, in dem Maße leisten Sie einen Beitrag zu einer vielfältigeren, demokratischen Öffentlichkeit. Von der auch jene profitieren, die sie selbst nicht oder nur sehr selektiv nutzen. […]

Egal ob Facebook, TikTok, Instagram oder “the platform formerly known as Twitter”, alle diese Plattformen sind in privater Hand, werbefinanziert und gesteuert von Algorithmen, die “Engagement”, also Klicks und Viewtime und Zahl an Kommentaren, belohnen. Dass vor allem Emotionalisierung und Polarisierung, lautes Zuspitzen und nicht differenziertes Betrachten zu diesem “Engagement” führt, nehmen die Plattformbetreiber in Kauf. Nicht, weil sie die daraus folgende Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte gut finden, sondern schlicht und einfach, weil es sich rechnet. Primär profitgetrieben eben.

Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, warum öffentlich-rechtliche Medien im Zeitalter digitaler Plattformöffentlichkeit wichtiger denn je sind. Dringender denn je brauchen wir Alternativen, brauchen wir Ausweichrouten zu den großen, profitgetriebenen Online-Plattformen, brauchen wir digital–öffentliche Räume, die primär einem demokratischen Auftrag verpflichtet sind.

Und: Öffentlich-rechtliche Medien sind schon strukturell auf Kompromiss und Konsens hin ausgerichtet. Nehmen wir als Beispiel das ZDF. Nicht nur der Intendant, auch acht von zwölf Mitgliedern des Verwaltungsrates benötigen eine Dreifünftel-Mehrheit im Fernsehrat, um gewählt zu werden. Von den gesetzlichen Grundlagen, dem ZDF-Staatsvertrag, gar nicht erst zu reden, wo es Einstimmigkeit von 16 Ländern benötigt. Mehr Gegenmodell zu privaten Plattformen, wo jene, die am lautesten und emotionalsten und radikalsten rumbrüllen, am meisten Gehör finden, geht kaum. […]

Öffentlich-rechtliche müssen selbst zu Plattformbetreibern werden. Sie müssen sich und ihre Kommunikationsinfrastruktur vor allem ihrem Publikum gegenüber, aber auch anderen gemeinnützigen und, in bestimmten Bereichen, auch kommerziellen Medien gegenüber öffnen.

Mit meinem Kollegen, dem Techniksoziologen Jan-Hendrick Passoth, habe ich vor allem drei Bereiche identifiziert, in denen öffentlich-rechtliche Medien mehr Offenheit brauchen:

Erstens, eine Öffnung der Software hin zu gemeinsamer und transparenter Entwicklung auf Basis von Open-Source-Software, offenen Standards und offenen Protokollen. Konsequent umgesetzt würde das nahtlos zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit anderen öffentlich-rechtlichen Medien in Europa und darüber hinaus einladen – ohne sich unbedingt über jedes Detail, über jedes Feature, über jede strategische Frage vorab einigen zu müssen. Offene Software und offene Standards als unilaterale Europäisierung quasi.

Zweitens, eine Öffnung für Interaktion mit dem Publikum und gesellschaftliche Teilhabe. Wenn ich heute mit anderen Zuschauer:innen über die aktuellste Folge von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale diskutieren möchte, muss ich hoffen, zumindest Ausschnitte daraus bei YouTube zu finden. Es ist absurd, Menschen auf kommerzielle Plattformen wie YouTube oder Instagram zu zwingen, wenn sie öffentlich-rechtliche Inhalte diskutieren wollen. Das steht im eklatanten Widerspruch zum Auftrag, demokratische Meinungsbildungsprozesse zu fördern.

Drittens braucht es eine Öffnung der Mediatheken für nutzergenerierte Inhalte und andere gemeinnützige Medienangebote – von Universitäten über Museen bis hin zu Blogs und Podcasts. Die Mediatheken sollten all diesen anderen Anbietern eine Bühne bieten und so Non-Profit-Angebote ganz allgemein stärken helfen. […]

Und in dem Maße, indem sich öffentlich-rechtliche Medien auf dezentrale und offene soziale Netzwerkstrukturen à la Fediverse einlassen, desto mehr wird der vermeintliche Nachteil der starken nationalen oder sogar regionalen Verankerung öffentlich-rechtlicher Medien vom Bug zum Feature: dann ist es sogar wünschenswert, dass ARD-Anstalten eigene Mastodon- und Peertube-Server betreiben. Auf Basis offener Software, offener Standards und offener Protokolle entsteht so ein regional verankertes, transnationales Ökosystem öffentlich-rechtlicher und anderer gemeinnütziger Anbieter, das groß und dynamisch genug ist, um sowas wie öffentlich-rechtliche Netzwerkeffekte zu erzeugen. Und das genau dadurch eine echte, weil völlig anderer Logik folgende, dezentral-gemeinnützige Alternative zu den global-profitorientierten Einheitsplattformen bietet. […]

Leonhard Dobusch, Keynote zur Jahrestagung der Otto-Brenner-Stiftung, dokumentiert: netzpolitik.org, 24.11.2023 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)