Zitiert: Recherche allein rettet uns nicht

Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der sich nur darauf konzentriert, die Ergebnisse investigativer Recherche abzubilden, zeichnet ein Zerrbild unserer Gesellschaft. Diese Gesellschaft bestünde nur aus Politikerinnen und Politikern, die sich bestechen lassen, aus Ärztinnen und Ärzten, die Krankenkassen betrügen und aus Rüstungslobbyistinnen und -lobbyisten, denen Kriegstote im Lichte hoher Profite egal sind. Dies ist die Gesellschaft der Raffgierigen, der Moralvergessenen. Wenn wir vor allem über die Ergebnisse dieser investigativen Recherchen berichten würden, gehörten wir zu denen, die vor allem auf den anderen zeigen und dessen Fehler herausstellen. Wir würden die trennenden Gräben unserer Gesellschaft eher vertiefen, anstatt sie zu überwinden. Denn wir würden Gemeinsames, den Kitt, der diese Gesellschaft zusammenhält, verschweigen.

Die Aufgabe von uns Journalistinnen und Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es aber, die gesamte Gesellschaft abzubilden, sie in ihrer Vielfalt zu zeigen. Mit ihren Schwierigkeiten und Herausforderungen, ja, aber auch mit dem, was sie stärkt und zusammenhält. Um das ganze Bild zu zeichnen, müssen wir unsere Arbeit, unser Selbstverständnis und unsere Inhalte hinterfragen und justieren.

Wir müssen mehr Menschen zu Wort kommen lassen als die Expertinnen und Experten, die den letzten Klinikskandal einordnen, die Anwälte, die die Verfehlungen eines Politikers juristisch bewerten, und mehr als Politiker, die Konsequenzen aus dem letzten Skandal verlangen. Aufgabe von Journalismus ist es eben auch, denen eine Stimme zu geben, die in unserer Gesellschaft keine (mehr) haben, […]

Wir müssen auch die zu Wort kommen lassen, die andere Meinungen vertreten als die, die in der NDR- oder ZDF-Kantine vorherrschen: Meinungen, die der Rahmen unserer demokratischen Werte erlaubt, also auch solche, die dieser Rahmen gerade noch, manchmal schmerzhaft, verträgt, von allen Seiten. […]

Wenn Daniel Drepper verlangt, „die Masse an Programm zu verringern“, dann darf es aus meiner Sicht nicht nur darum gehen, Ressourcen für Investigation frei zu machen. Wir müssen Ressourcen in Journalismus umlenken, der auf digitalen Plattformen Erfolg hat und sein Publikum findet. Und es geht nicht nur um Journalismus: ARD, ZDF und Deutschlandfunk werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie neben Information, Kultur und Bildung auch Unterhaltung liefern – in öffentlich-rechtlicher Qualität, aber so, dass sie relevant viele Menschen erreichen.

Björn Staschen, journalist.de, 9.3.2023 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)