Zitiert: Kulturradios sollen aufsuchende Chauffeur-Dienste werden

Die Kulturradios bei WDR und rbb sollen zu einer Art aufsuchendem Chauffeur-Dienst werden. Nur dass dort, wo sie ihre Hörer abholen wollen, niemand wartet. … Ziel der neuen programmatischen Ausrichtung von WDR 3 und rbbKultur ist es, sogenannte »klassikaffine Wechselhörer« abzuholen. Diese tummeln sich, so die Annahme, bei 1Live oder dem Berliner Rundfunk 91,4, könnten aber mit dem richtigen Angebot und der richtigen Ansprache überzeugt werden, öfter und länger im Kulturradio zu verweilen. Mit dem »klassikaffinen Wechselhörer« ist es ungefähr so wie mit dem Yeti: Je weniger Sichtungen es gibt, desto mehr schießen die Phantasien über ihn ins Kraut. Typische Wesenszüge sollen sein, dass er leicht schreckbar ist, vor allem, wenn ihm etwas Unbekanntes begegnet. Er mag es gerne hyggelig. Und er bevorzugt eine eher kindgemäße Ansprache. …

Die Augenhöhe mit den Hörer:innen korrigiert dabei gleichzeitig die bisherige Abgehobenheit, die für beide Sendeleitungen offenbar feststeht. »Mit der Kulturdünkelei kommen wir nicht weiter«, heißt es beim rbb. »Die einfache, unverstellte Perspektive auf unsere Gegenstände ist die beste Methode, unser Publikum für unsere Inhalte zu gewinnen.« Beim WDR klingt es so, als hadere man ganz generell mit der Sperrigkeit der eigenen Inhalte. Eine »schlicht gesprochene Sprache« könne aber dabei helfen, »vielen Inhalten die Schwere zu nehmen«. Der Begriff des »schweren Stoffs« ist eine freundliche Übernahme aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm, wo die Qualitätsdoku mit Verweis auf ihre quotenruinierende »Schwere« gerne in die Tiefe der Nacht verbannt wird.

Die Annahmen vom Hörer offenbaren dabei fast schon diskriminierende Rezipient:innenklischees: Die Jungen, die sich nicht anstrengen wollen, die Alten, denen es nur um Distinktion geht. Dass »die Jungen« auch Podcasts hören, die komplexer und reflexiver sind als das meiste, was in den bis zur Selbstaufgabe an den »Hörerwunsch« sich anbiedernden öffentlich-rechtlichen Kulturradios gesendet wird  – Schwamm drüber. Dabei müsste der »Blick von oben« ja gar nicht herablassend sein, sondern könnte Überblick und Orientierung geben. Wer hingegen immer allen gefallen will, gefällt am Ende niemandem.

Manch Mitarbeiter:in vermutet hinter dem »Case to Action« der jetzigen Programmreform bei WDR und rbb sowieso weder Quotenfixierung noch »Verjüngungswunsch«, sondern die Feindlichkeit einiger Verantwortlicher gegenüber den eigenen Inhalten.

Hartmut Welscher, 03.03.3021 (online)

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