Ich kann mit dem Vorwurf links-grün nichts anfangen, weil ich das nicht erlebe. Was ich erlebe ist, dass es Beschränkungen aufgrund eigener Erfahrungswelten gibt. Mal was ganz Simples. Wir diskutieren einmal im Jahr über die Krankenstatistik in diesem Land. Es gibt eine gewerkschaftliche Position, die sagt, wir müssen mehr für die Vorsorge tun. Und es gibt eine Arbeitgeberposition, die sagt, wir müssen mehr kontrollieren, das mit der telefonischen Krankschreibung funktioniert nicht. In einer Redaktionskonferenz sitzen dann ausschließlich Leute mit einer Arbeitnehmerperspektive, mich eingeschlossen. Man kann das Gedankenexperiment wagen: Wie würde ich argumentieren, wenn ich selbständiger Unternehmer wäre und mich am Markt finanzieren müsste? Ich würde es vermutlich anders sehen. Ist das etwas, was von selber zur Sprache kommt bei uns? Tendenziell eher nein, weil wir in unserer eigenen Perspektive stecken. Das ist aber etwas völlig anderes als eine einheitliche politische Haltung, die ich bei uns nicht feststelle. Es ist eben Teil unseres Jobs, uns in Konferenzen zu streiten.
Stefan Brandenburg, sueddeutsche.de, 07.11.2025 (online)

