Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, dass Frauen sprachlich sichtbar gemacht werden. Aber was Alltagsbegriffe angeht, die seit jeher geschlechtsneutral verstanden wurden … Zuletzt lehnte sich alles in mir auf, als eine geschätzte feministische Kollegin im Interview mit mir aus dem Wort „Gast“ die „Gästin“ machen wollte und darauf beharrte. Wo es zu weit geht, geht es zu weit. Wo die Sprache verhunzt wird und wir Menschen nötigen, sich etwas zu eigen zu machen, was sie nicht nachvollziehen können, dann hilft das überhaupt nicht weiter. In den 1980er-Jahren gab es in Fachkreisen und Zeitschriften Bestrebungen, die Großschreibung abzuschaffen und eine durchgehende Kleinschreibung abzuverlangen. Dieses vermeintliche Fortschrittsdiktat konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Ähnlich könnte es in einiger Zeit auch dem Gendern ergehen. Das generische Maskulinum in seiner ursprünglichen Form wird deshalb wohl nicht zurückkehren, denn die breite Diskussion um geschlechtergerechte Sprache hat unser Bewusstsein für sprachliche Ungleichbehandlung doch nachhaltig sensibilisiert.
Günter Wallraff, berliner-zeitung.de, 18.10.2025 (online)

