Wer also von „Superintelligenz“ schwärmt, verwechselt technologische Beschleunigung mit einer Projektion tiefsitzender Urängste und Sehnsüchte in eine Maschine, die weder Bewusstsein hat noch Gefühle kennt. Man könnte sagen: Es gibt eigentlich keine „künstliche Intelligenz“, solange sie auf statistischer Wahrscheinlichkeit, menschlicher Kreativität, Daten und Energie beruht. KI ist, präziser ausgedrückt, nur ein Werkzeug, das unsere gesellschaftlichen Stärken und Schwächen schamlos ausnutzt.
Im Journalismus zeigt sich das mit tragischer Klarheit. Die Branche, ohnehin angeschlagen durch ökonomische Schieflage, Vertrauensverluste und den permanenten Strukturwandel, reagiert auf KI wie auf jede neue Welle: mit Misstrauen, halben Experimenten, ohne klare Strategie. Doch was im ersten Moment wie Vorsicht wirkt, könnte sich als demokratietheoretischer Bumerang erweisen. Denn wenn Redaktionen nicht offensiv markieren, wer die Verantwortung trägt, und welche Grenzen gezogen werden, wird das Feld den Plattformen und Konzernen überlassen – und damit jenen Kräften, die in unserer Mediennutzung ausschließlich Dollarzeichen sehen. […]
Gibt es ein Leben nach der KI? Ja – aber nur, wenn wir uns (endlich) von der Illusion lösen, KI sei eine Naturgewalt. Denn die durch sie erzeugten Assoziationstsunamis spiegeln vor allem politische Interessen und Kapitalströme. Wer sie „intelligent“ nennt, verklärt sie.
Stephan Weichert, taz.de, 22.10.2025 (online)

