Auch aus der anderen großen Gemeinschaft wurde er ausgeschlossen, der kommunistischen Partei Italiens, weil er sich nicht an die Parteidoktrin hielt: „Ich entdeckte, dass viel in meinem Marxismus eine Basis hat, die irrational und mystisch und religiös ist.“ Das Progressive an Pasolini war, dass er die falsche Progressivität hasste – all das, was heute als woke gilt. Die absolute Freiheit, die die moderne Gesellschaft predigte, führte für ihn zu einer Art faschistischem Hedonismus. Das Bürgertum verfiel in dumpfe Spießigkeit, die moderne Konsumgesellschaft zerstörte das Leben der unteren Schichten, die bäuerlichen und handwerklichen Strukturen. […]
Pasolini hatte als Lehrer gearbeitet – er verlor die Stelle, als seine Homosexualität bekannt wurde. Er war ein Lehrer, der keine Lehren hatte, keine messages. Er wollte mit seiner Lyrik, seinen Romanen die Menschen zum Denken bringen, zum Fühlen. Ganz nebenbei fing er zu filmen an in den Sechzigern, „Accatone“ und „Mamma Roma“, mit den Menschen der Vorstädte. „Ich sagte ihnen nichts, ja ich sagte ihnen nicht mal genau, welche Figuren sie spielen … Ich wähle einen Akteur immer für das, was er ist. Nicht damit er sich in einen anderen transformiert.“ […]
Seine Filme sind unergründlich und bruchstückhaft, sie tasten die Oberflächen ab, der Landschaften und der Gesichter. In „Gastmahl der Liebe“ ließ er Menschen, unterschiedlich in Alter, Klasse, Herkunft, über die Liebe reden, über Sexualität, Familie, Ehe, Perversion und Prostitution. Später zog er in fremde Länder, Afrika, Indien, Arabien, um die Gesellschaften dort zu studieren. Ein ethnologischer Subtext, der auch seine Spielfilme prägt, ein Kino der Offenheit und Unfertigkeit. „Mit dem Tod Pasolinis kann man sagen, das Kino hat aufgehört, ein Erforscher zu sein“, hat Serge Daney geschrieben, der große französische Kritiker der Achtziger. Das Kino sei „nicht mehr es selbst, nämlich ein Zauberlehrling“.
Fritz Göttler, sueddeutsche.de, 30.10.2025 (online)

