Klassische Gerechtigkeitsfragen – wer kann sich die Miete noch leisten, wie ist das Vermögen im Land verteilt, wer erbt und wer nicht – verschwinden zunehmend aus der öffentlichen Debatte, tauchen aber in Form von identitätspolitischen Stellvertreterkämpfen wieder auf. Statt um die wirklich wichtigen Fragen geht es dann wochenlang ums Veggie-Schnitzel. […]
Nicht über jedes Stöckchen springen. Nicht alles zum Kulturkampf machen. Aufs Wesentliche konzentrieren. Und dabei auch nicht ständig dieselben Muster reproduzieren. Ein selbstkritisches Beispiel: Jahrelang war der „alte weiße Mann“ auch in meiner Partei das Sinnbild für ein privilegiertes Leben ohne Diskriminierung. Aber auch „alte weiße Männer“ leben in strukturschwachen Regionen, ackern in zwei Jobs und kommen trotzdem kaum über die Runden. Wenn ich denen sage: „Glückwunsch, du gehörst zu den Gewinnern, jetzt bist du mal mit Abgeben dran“ – dann ist das absurd. Es geht also darum, diese Themen neu zu rahmen. Weg vom „Wer verliert was?“ hin zu einer gemeinsamen Fortschrittsgeschichte: „Was gewinnen wir gemeinsam?“
Ricarda Lang, berliner-zeitung.de, 10.11.2025 (online)

