Wer „verstopft“ das deutsche Kino? Gibt es zu viele deutsche Filme?

Diesen beiden Fragen widmete sich Oliver Castendyk, der Leiter der Sektion Entertainment der Produzentenallianz. Seine tiefgehende Untersuchung, die mit einigen Vorurteilen aufräumt, wurde in Media Perspektiven (01/2013) veröffentlicht.

 

„Seit einiger Zeit“, so Oliver Castendyk“, wird in Deutschland eine Diskussion darüber geführt, ob es ein Überangebot an deutschen Filmen gibt und ob dieses Überangebot – falls es existiert – durch „Kinoverstopfung“ die Ursache dafür sein könnte, dass der einzelne deutsche Film eine immer kürzere und geringere Chance erhält, im Kino erfolgreich zu sein. Was für die einen eine Art „kinematographischer Kannibalismus“ ist, ist für die anderen Indiz einer blühenden Kreativität und Produktivität der deutschen Filmbranche und eine Ursache für die höchsten Marktanteile des deutschen Films seit 40 Jahren zwischen 2005 und 2011. Eine vergleichbare Diskussion wurde mit Bezug auf kleinere Mitgliedsstaaten der EU geführt.

 

 

Die Diskussion um ein mögliches Überangebot findet nicht im luftleeren Raum statt: In diesem Jahr steht die Reform des Filmförderungsgesetzes (FFG) auf der politischen Agenda. Dessen Regelungen könnten zukünftig etwas andere Schwerpunkte setzen. Zum Beispiel könnte geregelt werden, dass statt vieler Filme mit geringeren Mitteln künftig weniger Filme mit höheren Mitteln gefördert werden. Auch beim Deutschen Filmförderfonds (DFFF) könnte eine Beschränkung auf weniger Filme erreicht werden – etwa dadurch, dass nur noch Filme mit höheren Budgets gefördert werden oder nur solche Filme, bei denen der Verleih einen höheren Herausbringungsaufwand garantiert.

Um die Debatte auf eine gesicherte Faktenbasis zu stellen, werden im Folgenden die Pro- und Contra-Argumente genauer untersucht und anhand der verfügbaren Daten von Filmförderungsanstalt (FFA) und Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) empirisch überprüft. Die Ergebnisse dürften sowohl Befürworter als auch Gegner der These, dass zu viele deutsche Filme in die Kinos kommen, überraschen.“

In seiner Untersuchung kommt er zu folgenden Ergebnissen:

 

„Die Zahl der Erstaufführungen deutscher Kinofilme ist deutlich gestiegen – von 94 im Jahr 2000 auf 205 Kinofilme im Jahr 2011. Die Zahl der erstaufgeführten deutschen Spielfilme erreichte 2009 erstmals die Zahl der US-amerikanischen First Releases in Deutschland. Die Zahl der in Deutschland erstaufgeführten Filme aus den USA, Frankreich und Großbritannien ist gleich geblieben oder leicht gesunken.

Der Anstieg bei den Dokumentarfilmen und bei den deutsch-ausländischen Koproduktionen ist stärker als bei den rein deutschen Spielfilmen. Bei den Spielfilmen ist in den letzten Jahren eine Steigerung bei den mittleren und höheren Budgets zu verzeichnen. In der Very-Low- und LowBudget-Kategorie gibt es eine Steigerung durch die Zunahme von Dokumentarfilmen.“

„Die Zahl der Startkopien pro Filmstart hat sich in den letzten fünf Jahren nicht wesentlich verändert. Dies gilt sowohl für den deutschen als auch für den ausländischen Film. Absolut gerechnet liegt die Zahl der Startkopien 2010 insgesamt höher als 2005, weil mehr Filme gestartet wurden.

Dokumentarfilme und Filme mit einer geringen Zahl von Startkopien machen nur einen kleinen Teil der in den letzten Jahren gestiegenen Kopienzahlen deutscher Filme aus. Dementsprechend sind sie auch kein wesentlicher Kausalfaktor für die Zunahme der Startkopien deutscher Filme in den letzten Jahren.“

„Es gibt eine klare Korrelation zwischen Anzahl der Filme und Markterfolg: Je mehr Filme (im Durchschnitt der letzten Jahre) gestartet wurden, desto höher lag der deutsche Marktanteil. Dabei tragen allerdings die rein deutschen Spielfilme deutlich stärker zum Markterfolg bei als Dokumentationen und deutsch-ausländische Koproduktionen. Das heißt nicht, dass nicht auch deutsch-ausländische Koproduktionen (mit deutschem Ursprungszeugnis) Markterfolge haben (können), sondern nur, dass die Vergrößerung ihrer Anzahl sehr wahrscheinlich nicht zur Steigerung des deutschen Marktanteils beiträgt.

Die Zahlen sprechen eher für die Hypothese, dass sich der Marketingaufwand pro Film in den letzten Jahren verringert hat. Es müssten jedoch weitere Jahre und umfassendere Daten erhoben werden, um die Hypothese belastbar überprüfen zu können.

 

Die Entwicklung bei den Besuchern pro Startkopie zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ausnutzungsgrad der Kopie und der Zahl der Filmstarts (nicht aber der Anzahl der Startkopien) gibt: Je mehr Neustarts es gibt, desto stärker sinkt die Zahl pro Besucher je Startkopie und damit ihr Ausnutzungsgrad.“

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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