Das Boulevardmedium Bild wurde inhaltsanalytisch schon häufig untersucht. Die redaktionellen Arbeitsweisen und hierarchischen Strukturen dieser besonderen Redaktion sind aber wissenschaftlich nahezu unerforscht. Für die hier vorgelegte Studie war es erstmals möglich, Redakteurinnen und Redakteure von Bild in einer nennenswerten Größenordnung (n=43) zu befragen. Zusätzlich war es im Jahr 2020 möglich, Redaktionskonferenzen zu beobachten.
Die Feldforschung fand in einer außergewöhnlichen Phase der über 70-jährigen Geschichte von Bild statt. Rekonstruiert wird im vorliegenden Aufsatz der Versuch der Axel Springer SE, die Marke Bild über Zeitung und Website hinaus crossmedial um ein drittes Element zu erweitern. Der Ehrgeiz von Chefredaktion und Verlag galt bis 2023 keinem geringeren Ziel, als einen eigenen Fernsehsender aufzubauen. Auf Basis der umfangreichen qualitativen Befragungsdaten (1.022 Seiten Interviewtranskripte) aus drei Hierarchieebenen (einfaches Redaktionspersonal, mittleres Management, Chefredaktion) lässt sich erklären, warum dieser Versuch scheiterte. Als vorrangige Ursachen sind zu nennen: die Plötzlichkeit eines kaum vorbereiteten Sendestarts in einer extremen gesellschaftlichen Situation (Pandemie), ungenügende personelle und infrastrukturelle Voraussetzungen sowie ein Führungsstil, der viele Mitarbeitende überforderte und demotivierte. Die Studien zu journalistischen Innovationen werden mit dieser Fallstudie des Misslingens fortgeführt, die Forschung zu crossmedialer Transformation wird um Einsichten zu vermeidbaren Managementfehlern bereichert.
Volker Lilienthal, Medien & Kommunikationswissenschaft, 09.12.2025 (online)

