Zitiert: Verhältnis zwischen Öffentlich-Rechtlichem Rundfunk und Social-Media-Plattformen

Das Verhältnis zwischen Öffentlich-Rechtlichem Rundfunk (ÖRR) und Social-Media-Plattformen ist kompliziert. Der ÖRR kann ohne sie nicht er selbst sein, weil er ohne sie nicht alle erreichen kann, die für ihn Beiträge leisten. Mit ihnen kann er aber auch nicht ganz er selbst sein, weil die Plattformen Interaktion belohnen – auch solche, auf die der ÖRR es eigentlich nicht abgesehen haben kann.

Was würde ein Paartherapeut sagen, wenn die beiden vor ihm auf der Couch säßen? Vielleicht: „Sie sollten den anderen so nehmen, wie er ist“? Das wird aber nicht geschehen, würde dann Henning Eichler erwidern, denn: „Insgesamt ist die Beziehung zwischen den öffentlich-rechtlichen Medien und den Plattformen von einem starken Machtgefälle zugunsten letzterer geprägt.“

So steht es in Eichlers Studie, die er für die Otto-Brenner-Stiftung erarbeitet hat. „Journalismus in sozialen Netzwerken. ARD und ZDF im Bann der Algorithmen?“, heißt sie. Das Erscheinen der Studie wurde an dieser Stelle kürzlich schon angekündigt, aber nun ist sie da und wird diskutiert (mit Eichler selbst etwa bei @mediasres im Deutschlandfunk). Wenn man sie liest, bekommt man nicht den Eindruck, dass es in den öffentlich-rechtlichen Häusern als pures Glück empfunden wird, dass man auf jeder Plattform tanzen soll – und dann auch noch deren Tänze. Vor allem der empirische Teil der Arbeit ist interessant. Es gibt darin zahlreiche Passagen aus Interviews mit Mitarbeitern der Öffentlich-Rechtlichen, die sich zwar nicht in allem einig sind. Aber, so Henning Eichler:

„In vielen Aussagen wird deutlich, dass sich die Befragten bewusst darüber sind, in einem permanenten Konflikt zu stehen, Inhalte entweder mehr auf Reichweite oder eher auf inhaltliche Qualitätskriterien hin umzusetzen.“

Eichler schreibt auch:

  • „Schon in der Formatentwicklung orientieren sich Redaktionen an Plattform-Konventionen mit dem Ziel, journalistische Inhalte so darzustellen, dass sie durch die Algorithmen eine möglichst große Verbreitung erfahren.“ Und:
  • „Themenvorschläge werden zudem daraufhin diskutiert, ob sie Potential für hohe Interaktionsraten haben und inwiefern sie sich emotionalisierend umsetzen lassen.“

Es zieht sich auch ein zweiter Strang durch die Studie, der sich mit diesem Zitat zusammenfassen lässt: „Zum anderendienen journalistische Werte als Kompass in Redaktionskonferenzen. So werden auch regelmäßig Themen umgesetzt, die keine Aussicht auf besonders hohe Reichweiten haben.“

Aber unter dem Strich wird sehr klar, dass die Bedeutung der Plattformen in der redaktionellen Arbeit ein Dilemma bedeutet, weil bestimmte Themen, Zugänge und Formen bevorzugt werden, allerdings nicht aus journalistischen Gründen. Die Debatte darüber, was die Öffentlich-Rechtlichen im Plattforminternet tun sollen und was nicht, könnte mit dieser Studie auf ein neues Level gerückt werden, schon deshalb, weil die Beobachtungen von öffentlich-rechtlichen Praktikern selbst kommen. …

Es geht also darum, möglichst alle zu erreichen, ohne dass die Plattformen indirekt mit bei der Redaktionskonferenz sitzen, um mitzuentscheiden, welche öffentlich-rechtlichen Inhalte umgesetzt werden (und welche nicht). Wie? „ARD, ZDF und Deutschlandradio müssen einer eigenen Digitalethik folgen, sie brauchen einen eigenen, einen öffentlich-rechtlichen Algorithmus“, fordert Joachim Huber im „Tagesspiegel“. Christoph Kappes, der die Otto-Brenner-Studie in einem Twitter-Thread kommentiert, schreibt dagegen, seiner Ansicht nach müsse man ein paar Gesichtspunkte noch radikaler durchdenken:

„Content-Anbieter mit Qualitätsanspruch sind auf Social Media schlecht vertreten. Etwa bestrafen Plattformen externe Links und bevorzugen plattforminterne Interaktion. Das ist broken by design. (…) Die Konzepte von Social Media zielen quantitativ auf (Micro-)Interaktion, um Irritation zugunsten von viel Werbung zu erzeugen. Das ist das Gegenteil von qualitativer Steuerung: Gute Tools würden Debatten strukturieren helfen und (echte) Moderation wäre ein Herzstück.“

Die bestehenden Konzepte „zu veröffentlich-rechtlichen“, helfe nichts. Er spricht von einem „Betriebsunfall der Mediengeschichte“.

Klaus Raab, MDR Altpapier, 10.6.2022 (online)

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