Zitiert: Radio ist mehr als Audiojournalismus

Der neue Audioboom, der mit der starken Zunahme erfolgreicher Podcasts im Web ausgerufen wurde, hat wohl vor allem die Radioberater überrascht, die seit Beginn der 90er gepredigt hatten, Radio sei allenfalls ein „Nebenbeimedium“, dem keiner genau zuhören wolle. Ihr Credo lautete, polemisch zugespitzt: Die Hörerin will hier nicht mit langen Beiträgen belästigt werden, Wort stört. Und die Hörer wollen gern immer wieder die gleichen Musiktitel hören, je beliebter, desto häufiger. – Was zur Folge hatte, dass die beliebtesten Hits in der sogenannten heavy rotation mehrmals am Tag wiederholt werden.

Im Zuge der Entwortung der Programme wurde den Radio-Moderatoren eingetrichtert, sie sollten bloß nicht zu viel labern, ihre Aufgabe sei, gute Laune zu verbreiten und die jeweilige angenommene Stimmung des Publikums zu unterstützen. „Mood management“ nennt sich das. So kam es, dass gefühlt alle Radiomoderatoren in den populären Wellen nur noch vom Wetter sprechen und jedes Frühjahr wieder, sobald die Temperaturen steigen, dazu aufrufen, den Grill anzufeuern. Die Woche ist in ihren Moderationen ein einziges Hinleben auf das Wochenende: Da wird der Mittwoch zum „Bergfest“, der Donnerstag zum „Vizefreitag“ und am Freitag heißt es endlich: „Hoch die Hände, Wochenende!“ ….

Video hat den Radio Star nicht gekillt, und auch das Internet wird nicht das Ende des Mediums Radio sein. Im Gegenteil. Das Radio hat in den vergangenen 100 Jahren bewiesen, wie wandlungsfähig es ist. Wenn Radio relevant bleiben will, darf es den Hörerinnen und Hörern nicht nur Hintergrundmusik bieten, die möglichst wenig von störenden Sprechern unterbrochen wird, dann muss es HINHÖR-Radio bleiben, Radio, das Diskussionsstoff bietet und zum Weiterdenken anregt. Zuhören ist eine Kulturtechnik, die gerade angesichts hitziger Diskussionen in sozialen Netzwerken, wo sich kaum einer noch die Mühe macht, die Argumente der anderen zu verstehen, an Bedeutung gewinnt.

Radio ist mehr als Audiojournalismus. Es ist auch mehr als ein polyphones Streamingangebot. Es ist ein Medium und ein Kulturfaktor, es ist Teil des Gesprächs der Gesellschaft über sich selbst. The audience is listening. Das Publikum hört zu – und das wird es auch weiterhin tun.

Diemut Roether, epd medien, 27.08.2021 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)