Wie Christoph Keese den „Journalismus für eine Politelite“ von Politico zum Lokaljournalismus umdefiniert

„Was ist digitaler Lokaljournalismus? Wie unterscheidet er sich von Lokaljournalismus? Wir sollten die Idee der Zeitung vom Medium Papier emanzipieren. Das Prinzip für guten Journalismus ist immer gleich: exzellente Inhalte zu bieten, und zwar solche, die die Leser wirklich haben wollen. „Politico“ (ein amerikanisches Politikmagazin; d. Red.) zum Beispiel ist Lokaljournalismus. Gleiches machen wir jetzt gemeinsam mit Politico in Brüssel – auch das ist wieder ein Lokalmedium mit ähnlich hohem Preis. Warum bezahlen die Leser das? Weil es ihnen diesen Preis wert ist.“ So Christoph Keese gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger (online, 21.05.2015) .

Da hätte der fragende Journalist Michael Greuel nachhaken müssen. Dass Politico keinen Lokaljournalismus im eigentlichen Sinn macht, ist jedem klar, der sich einmal die Homepage ansieht. Doch so bleibt diese Behauptung einfach stehen. Auch eine Nachfrage nach den Abonnenten hätte einiges klarer gemacht. Denn wer ist schon bereit, 7.500 Dollar im Jahr für Lokaljournalismus zu bezahlen.

Hätte Michael Greuel etwas Tiefer recherchiert, wäre er auch auf ein Interview von Vera Linß mit Christoph Keese gestoßen. Die drei Themen von Politico werden „mit einiger Wahrscheinlichkeit … die Gesundheitswirtschaft dabei sein, Energiewirtschaft und Informationstechnologie – das definieren wir aber noch“, so Christoph Keese damals im Interview. Steht dies etwa für Lokaljournalismus? Als Zielpersonen von Politico Brüssel sah er u.a. den Präsidenten der EU-Kommission Juncker, den Präsidenten des Europäischen Rats Donald Tusk, aber auch den französischen Präsidenten und die deutsche Bundeskanzlerin.

Wolfgang Michal stellte schon vor Wochen fest: „Politico ist kein gewöhnliches Online-Medium für die breite Öffentlichkeit, es ist eine politische Pressure Group, eine Art Think Tank oder Beratungsinstitut, das sich geschickt als Medium zu verkleiden weiß … Politico geht es gar nicht so sehr um die Herstellung einer breiten europäischen Öffentlichkeit, sondern eher um die mediale Versorgung einer kleinen Elite von EU-Entscheidungsträgern mit Argumentationshilfen und so genanntem Hintergrundwissen. … 7500 Euro für ein Jahresabo!? Bezahlt aus Mitteln der EU (aus Steuergeldern)? Ein tolles Geschäftsmodell.“ (Weiterlesen)

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