Dokumentiert: Auftrag und Bildung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

„Der Bildungsauftrag und somit die Identität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen sich wandeln. Das ist gesetzlich festgeschrieben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gewinnt seine Identität aus den Bedürfnislagen einer Gesellschaft, wobei das Bedürfnis nicht zu verwechseln ist mit dem, was eine Gesellschaft überwiegend kauft. Nur weil Chips sich in einem Supermarkt am meisten verkaufen, heißt das nicht, dass wir, die Menschen, Chips am meisten benötigen oder dass Chips die Mitte der Gesellschaft sind oder der Konsens, auf den wir, die Bewohner der Obdachlosigkeit, uns schließlich einigen. Eine Tüte Chips ist schnell gegessen und ein Zuhause hat noch niemand in ihr gefunden. In der Auseinandersetzung mit den Pathologien der Moderne müssen wir alle zu diskursiven Detektiven werden, die Zuschauer, die Sender und wir, die versuchsweise professionellen Medienbeobachter, um die verschiedenen Bedürfnisse zu ermitteln.

 

Die verbreitete Argumentation, gute Quoten seien ein Votum, den Status quo fortzuschreiben, die Quote sei ein täglich einzuholendes Plebiszit, stimmt nicht. Der Rundfunk hat nicht den Auftrag, unsere vermuteten Erwartungen zu befriedigen, sondern uns vom Erwartungsdruck zu befreien, uns mit Unerwartetem zu überraschen, um uns aus alltäglichen Routinen und hoffnungsarmer Wartestarre zu erlösen. Bildung beginnt mit Kursänderungen. In Hinblick auf die Chancen, Risiken und Verluste unserer Zeit hat der Rundfunk seine Identität zu entwickeln. „Leitbilder“ und unantastbare Antworten wird er kaum noch geben, eher kluge Fragen aufwerfen, die die ermutigen, die sich gesellschaftlich engagieren, und jene erschrecken, die Egoismus für die zeitgemäßeste aller Antworten halten.

 

Der diskursive Detektiv hat kein fertiges Rezept, es gilt nicht, die Gesellschaft zu heilen oder als fürsorglicher Tyrann vor schlimmen Dingen zu bewahren. Aber der Rundfunk und seine Detektive sollten an Bildern und Erzählungen arbeiten, die Empathie stiften, wo Menschen einander in feindseliger Fremdheit verlieren, an Bildern und Erzählungen, die Sand ins Getriebe schütten, auch ins eigene, wo der Betrieb verdächtig lautlos schnurrt, die zu Solidarität ermutigen, wo Gruppen und Milieus gegeneinander ausgespielt werden, Respekt einklagen, wo soziale Geringschätzung sich breit macht, kontroverse Spannung schüren, wo Langeweile mit guter Unterhaltung verwechselt wird, intellektuell provozieren, wo ein breiiger Konsens gepflegt wird, kulturelle Differenz verteidigen, wo totalitäre Konzepte aufblühen, zu Einspruch anstiften, wo Macht missbraucht wird, Toleranz lehren, wo das Fremde nur als Eindringling betrachtet wird, und schließlich hin und wieder den Menschen daran erinnern, auch den mächtigsten, dass seine Zeit befristet ist.“

 

Torsten Körner in Funkkorrespondenz, 13/2014, S. 10

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