In den Ministergärten 6
10117 Berlin
Deutschland
Journalismus ist die Profession, bei der man nach den Ereignissen das wusste, was man vorher nicht geschrieben oder gesendet hat. Der Rohstoff für die Interpretationen und Meinungen kommt meist aus der Werkstatt der boomenden Branche der Meinungs- und Wahlforscher. Für viele Journalisten auf der Suche nach der fetzigen Schlagzeile sind sie das „innere Geländer“ für ihre Einschätzungen und Bewertungen.
Doch zunehmend wird die Leistungsfähigkeit der sehr unterschiedlich aufgestellten Institute hinterfragt. Die Summe der Fehleinschätzungen vor der Brexit-Abstimmung, den US-Wahlen und sogar im „kleinen“ Saarland hat die Grenzen der Meinungsforscher sichtbar gemacht und die Nervosität bei den Auftraggebern erhöht.
Gleichwohl wirkt die Flut an seriösen oder unseriösen Umfragen auch auf Politiker und
Parteistrategen, die mit ihrem jeweiligen Demoskopie-Marktwert auch ihr Schicksal verbinden: Ohne demoskopisch festgestellte Machtperspektive gibt es keine Medien-Präsenz; ohne Präsenz keine erfolgsversprechenden Wahlaussichten, ohne aussichtsreiche Wahl- und Koalitionsoptionen keine Machtperspektive.
Diesen Kreislauf versuchen manche Demoskopen in Experten-Gesprächen in den Medien zu befeuern und treten häufig auch als strategische Akteure im Meinungswettstreit auf. Gleichzeitig kommen immer mehr Anbieter auf den Markt, die mit neuen Methoden – etwa dem Rückgriff auf Online-Befragungen, „Omnibus-Fragen“ oder der Auswertung von big data oder micro-targeting – sicherere Ergebnisse als die etablierte Konkurrenz versprechen.
Gründe genug, vier Monate vor der Bundestagswahl einen Branchen-Check vorzunehmen und die Spreu vom Weizen zu trennen.
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